Klaus Kofler denkt über neues Zukunftshandeln und Zukunftsbildung nach. Die täglichen Prophezeiungen der Zukunftsromantiker befremden ihn und seine Mitstreiter der Future Design Akademie.
Zukunft entsteht, wenn sich Befindlichkeiten ändern – genau das erleben wir gerade hautnah. Kein Prophet oder Zukunftsdeuter konnte ihn sehen – geschweige denn vorhersagen – diesen schwarzen Schwan. Etwas Unbekanntes, Unvorhersehbares, das meist massive Auswirkungen und Folgen nach sich zieht und uns gerade mit voller Wucht trifft. Unsere linear abgebildeten Zukünfte werden quasi in Echtzeit grundlegend in Frage gestellt und pulverisiert.
Nur offenbart dieses Dilemma noch eine andere Wahrheit. Denn wir stehen nicht nur vor einem historischen Umbruch, sondern auch vor einer historischen Tatsache. Gerade erleben wir, dass wir ein System geschaffen haben, für das wir genaugenommen keinen „Plan B“ als Alternative verfügbar haben. Unsere hoch gelobte Globalisierung zeigt uns in aller Deutlichkeit ihr anderes Gesicht. Oder vielleicht haben wir ja nur in aller Euphorie vergessen uns zu fragen, ob das, was wir da machen, denn auch das ist, was wir auch wirklich alle machen wollten?
Waren es früher die Götter, die wir um Rat befragten, so suchten wir gestern noch in der Technologie nach Unsterblichkeit. Heute verlassen wir uns auf Propheten, deren persönliche Vorstellungen von Zukunftsromantik Wege in eine neue Glückseligkeit offerieren. Irgendwie ein wenig wie Weihnachten, nur am Ende mit Geschenken, die sich keiner gewünscht hat. Spätestens jetzt wäre doch der Zeitpunkt, an dem wir aufwachen sollten aus einer Welt der Selbsttäuschung und Verantwortungslosigkeit. Denn der Satz, dass kann nie passieren, bekommt gerade eine völlig neue Dimension.
Mal ehrlich. Wollten wir denn nicht alle, dass die Gegenwart niemals endet? Waren wir denn nicht geblendet von dieser Mischung aus Glück, Unsterblichkeit und Größenwahn? In der Realität angekommen stellt sich jetzt die Frage, beschreibt die momentane Situation wirklich nur eine Gegenwartskrise oder erleben wir gerade einen Zukunftsschock?
Die Erkenntnis
Umbrüche und Krisen haben aber auch etwas Positives, denn sie bringen Bewegung in ein meist eingefahrenes System und schaffen Alternativen als eine Art „Transformationskanal“ in etwas Neues. Diese Tipping Points oder Kipppunkte eröffnen nicht nur völlig neue Möglichkeits- und Gestaltungsräume, sondern können auch das Unerwartete zum Normalfall werden lassen und radikale Veränderungen in unserem Denken und Handeln zu einem Flächenbrand entfachen.
Würden man jetzt den Bogen etwas weiterspannen und den Green Deal, wenn er denn wirklich ernst gemeint wäre, ins Spiel bringen, könnte diese Krise wahrlich als große Chance dienen. Zum einen, weil das notwendige Bewusstsein dafür gerade hoch sensibilisiert wäre und zum anderen wir sowieso einiges grundlegend neugestalten und umbauen müssten.
Wir sind an einen Punkt angekommen, an dem wir uns weniger fürchten und dafür mehr Mut zutrauen sollten. An dem wir uns zwischen dem Prinzip „sowohl als auch“ oder „entweder oder“ entscheiden müssen. Und auch vor der Frage, welche Zukunft wir denn jetzt überhaupt schaffen wollen?
Der Aufbruch
Und dann wären wir beim Tun angekommen, nämlich als erster Schritt sich selbst Zukunftsfragen zu stellen. Dann werden wir auch feststellen, dass wir es mit ganz anderen Herausforderungen zu tun bekommen, als die die wir kennen. Eine der größten Aufgaben wird darin liegen, unsere herkömmlichen und konventionellen Denk- und Handlungsmuster grundlegend infrage zu stellen und gegebenenfalls über Bord zu werfen.
Zukunftsgestaltung bedeutet nicht nur, Neues grundlegend denken, verstehen und lernen zu können, sondern auch wie wir es schaffen, sowohl Entscheider als auch die Menschen selbst hinsichtlich ihrer Haltung in Sachen Zukunftsgestaltung erreichen, mobilisieren und mit ins Boot holen zu können.
Zukunft machen wir nicht erst nach der Krise oder wenn das Fass bereits übergelaufen ist. Zukunft passiert im Jetzt und im Heute. Wir sollten aufhören, den Zukunftsbildern anderer zu folgen oder solchen Bildern, die auf egoistischen Sicht- und Denkweisen einer alten Welt beruhen.
Wollen wir das Morgen wirklich gestalten, müssen wir weit über unsere Horizonte hinausdenken. Aber dabei geht es nicht direkt um den Blick in die Zukunft, sondern vielmehr um die Perspektive vom Morgen ins Heute. Wir sind an dem Punkt angekommen, an dem wir uns fragen sollten, ob unsere Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsmodelle überhaupt noch zeitgemäß sind. Suchen wir nicht schon zu lange auf Feldern einer alten Industriekultur nach Lösungen für eine Welt von morgen?
Im Grunde genommen wussten wir doch schon vor der Corona-Krise, dass die Dinge nicht mehr lange so weiterlaufen können. Bekannt ist aber auch, dass nach der Krise wieder vor der Krise sein wird. Inwieweit wir aber nochmal in der Lage sein werden, einen solchen Gewaltakt ein weiteres Mal zu stemmen, bleibt fraglich. Gerade deshalb sollten wir uns nicht an Dystopien oder Utopien orientieren, sondern jetzt den Status Quo grundlegend verändern.
Diese Welt wird nicht untergehen, sie wird sich weiterdrehen. Es wird aber an uns liegen, sie jetzt weiterzudenken und umzugestalten. Wir alle sind Zukunftsgestalter und was wir heute tun (oder eben nicht tun), hat bereits morgen direkte Auswirkungen.